Fresa y Chocolate

Ein Kämpfer gegen kubanische Dämonen

Das Kino Kunstmuseum in Bern zeigt im Januar eine Filmreihe mit Werken des grossen kubanischen Regisseurs Tomas Gutiérrez Alea.

Tomás Gutiérrez Alea, in Kuba besser bekannt unter seinem Spitznamen "Titón", wurde 1928 in Havanna geboren, und er starb dort am 16. April 1996. Von 1951 bis 1953 besuchte der studierte Jurist in Rom am Centro Sperimentale di Cinematografia Filmkurse und bildete sich zum Regisseur aus. Das Centro in Rom war damals weltweit eine der wenigen Ausbildungsstätten für Film, es war stark vom italienischen Neorealismus beeinflusst. Bald nach der Rückkehr nach Kuba realisierte Titón zusammen mit seinem Mitstudenten Julio García Espinosa El mégano, einen kurzen Dokumentarfilm über das Elend der Köhlerfamilien in den Zapatasümpfen, südwestlich von Havanna.

Der Batista-Diktatur war der Film nicht geheuer, er wurde 1955 sofort verboten. Heute gilt El mégano als erster Film des kubanischen Revolutionskinos. 1959, nach dem Sieg der Revolution, gehörte Alea dann zu den Mitbegründern des kubanischen Filminstituts ICAIC, und mit Historias de la revolución drehte er 1960 den ersten Spielfilm des revolutionären Kuba, ein dreiteiliger Episodenfilm, inspiriert von Roberto Rosselinis Paisà. In seinen darauf folgenden Filmen entfernte sich Alea sowohl vom Neorealismus wie von der reinen Revolutionsapologie. Eindrücklich zeigt sich das in seinen beiden Werken, mit denen er Filmgeschichte geschrieben hat: La muerte de un burócrata und Memorias del subdesarrollo. Während Ersterer als Mutter aller kubanischen Filmkomödien mit seinem schwarzen Humor die typisch kubanische Eigenschaft des Nichts-ernst-Nehmens zu meisterhafter Vollendung führt, zeigt Letzterer in der Zerrissenheit seiner Hauptfigur eine dialektische Virtuosität, die den Film zu einem Meilenstein des Weltkinos macht. Beide Filme trugen entscheidend zum Ruf Aleas als kritischer Revolutionär bei – ein Ruf, der es ihm ermöglichte, 1993 mit Fresa y Chocolate als Erster ein so tabuisiertes Thema wie jenes der Homophobie aufgreifen zu können. Einer der in dieser Reihe fehlenden, da kaum erhältlichen, Filme heisst Eine kubanische Schlacht gegen die Dämonen. Es ist eines der unbekannteren Werke Titóns, und sicher der sperrigste Film in seinem ganzen Oeuvre. Er spielt im 17. Jahrhundert und erzählt von einem Küstenstädtchen in der Provinz, wo ein Priester die Bewohner zur Übersiedelung ins Landesinnere bewegen will, weil sie angeblich von Piraten bedroht seien. In Wirklichkeit aber geht es ihm und den Behörden darum, Schmuggel und das Aufkommen neuer, ketzerischer Ideen zu stoppen. Als die Bewohner skeptisch sind, behauptet er, der Ort sei von Dämonen besessen.

Ein Schmuggler entlarvt den Schwindel, daraufhin brennt das Städtchen nieder. Titón realisierte den 130-minütigen Film 1971, zu einer Zeit, als Kubas Kulturpolitik in das sogenannte graue Jahrfünft eintrat und es ratsam schien, eine vielfältig interpretierbare Story in einen historischen Stoff zu verpacken. Beim Tod von Alea im April 1996 schrieb Jesús Díaz – der 2002 verstorbene grosse Schriftsteller und Dokumentarfilmer, der in den 1980ern mit Titón am ICAIC zusammengearbeitet hatte – von seinem Madrider Exil aus: «Titóns Werk ist eine Hymne an die Toleranz, an den klaren Blick, an die Liebe und an den Humor, eine Waffe gegen den Machismo, den Rassismus, den Fremdenhass und das Autokratentum. Tomás Gutiérrez Alea steht auch für unsere Zukunft (…) und er wird uns immer danach fragen, wie wir das Ende der kubanischen Schlacht gegen die Dämonen vorwegnehmen können.»

Geri Krebs

Kino Kunstmuseum
Hodlerstrasse 8
3011 Bern

*****

La muerte de un burócrata (Der Tod eines Bürokraten)
Kuba 1966, 85 Minuten, SP/d, 35mm, Schwarzweiss

Paco, ein strebsamer Arbeiter, der eine Maschine erfunden hat, die Büsten des kubanischen Nationaldichters José Martí herstellt, stirbt bei einem Arbeitsunfall und wird mit allen Ehren eines revolutionären Helden begraben. Als seine Witwe die Pension beantragt, muss sie den Arbeitsausweis ihres Mannes vorlegen. Aber dieser wurde Paco ins Grab mitgegeben. Alles, was die Witwe und ihr Neffe Juan zur Wiederbeschaffung des Arbeitsausweises anstellen, gerät aufgrund der bürokratischen Verwaltung zur Groteske.

Sa 09. 01. 18.30 h
So 10. 01. 12.15 h
Mo 11. 01. 20.45 h
Di 12. 01. 18.30 h

*****

Fresa y chocolate (Erdbeer und Schokolade)
Kuba 1993, 110 Minuten, SP/df, 35mm, Farbe

Ein militanter Jungkommunist und ein schwuler Künstler beginnen eine Freundschaft, innerhalb derer gegenseitige Vorurteile und politischer Dogmatismus niedergerissen werden. Titóns filmische Adaptation der 1990 erschienenen Novelle «Der Wolf, der Wald und der Neue Mensch» von Senel Paz ist nicht nur der erfolgreichste kubanische Film aller Zeiten, sondern war auch international einer der beliebtesten Filme aus einem Land des Südens überhaupt. Alea, wichtigster Regisseur in der Geschichte des kubanischen Kinos und Vaterfigur für alle nachfolgenden Cineasten Kubas, war schon todkrank, als er mit den Dreharbeiten für Fresa y chocolate begann; deshalb zog er für die Realisierung des Films seinen 20 Jahre jüngeren Kollegen Juan Carlos Tabío bei.

Sa 09. 01. 20.30 h
So 10. 01. 16.00 h
Mo 11. 01. 18.30 h

*****

La última cena (Das letzte Abendmahl)
Kuba 1976, 120 Minuten, SP/d, 35mm, Farbe

Kuba um 1800: Ein Zuckerrohrplantagenbesitzer versammelt am Gründonnerstag zwölf seiner Sklaven im Herrenhaus, um mit ihnen das Abendmahl im Stil der Osterpassion zu zelebrieren, wobei er sich selbst die Rolle Christi zuteilt. Mit biblischen Gleichnissen versucht er seine ‹Apostel› davon zu überzeugen, dass ihr höchstes Glück darin bestehe, ihm demütig zu dienen. Im betrunkenen Zustand verspricht er den Sklaven, am Karfreitag nicht arbeiten zu müssen. Da ihn seine ‹Apostel› beim Wort nehmen, kommt es zur Katastrophe, denn der Aufseher hat andere Direktiven…

So 10. 01. 18.30 h
Di 12. 01. 20.45 h

*****

Guantanamera
Kuba / Spanien / Deutschland 1995, 101 Minuten, SP/df, 35mm, Farbe

Von Fidel Castro postum mit dem Prädikat ‹konterrevolutionär› bedacht (ein Film, der unser heroisches Volk in den Zeiten verhöhnt, wo der Mangel manchmal so gross war, dass selbst das Holz für Särge fehlte), und vom Verleih als kubanische Antwort auf Four Weddings and a Funeral angepriesen, ist Guantanamera viel mehr als das: eine der besten kubanischen Komödien des vergangenen Jahrzehnts und das Vermächtnis eines der ganz grossen Cinéasten Lateinamerikas. Co-Autor Alea starb kurz nach der Premiere des Films im April 1996.

Sa 16. 01. 21.00 h
So 17. 01. 16.30 h

*****

Memorias del subdesarrollo (Erinnerungen an die Unterentwicklung)
Kuba 1968, 97 Minuten, SP/d, 35mm, Schwarzweiss

Castros Revolution war für viele Kubaner die Erlösung von einem tyrannischen Regime und der Beginn von wesentlich mehr Freiheit und sozialer Gerechtigkeit. Sergio ist im Land geblieben, nicht aus Überzeugung, sondern aus Bequemlichkeit und ein bisschen Neugier. Seine Frau hat ihn und Kuba verlassen. Sergio versucht in seiner Luxuswohnung, seine Memoiren zu schreiben, sich zu erinnern an die alte Zeit, die neue zu analysieren und zu verstehen. Es gibt eine Reihe von herausragenden Klassikern von der Karibik-Insel, aber der da gehört zu den grössten Filmen der Kinogeschichte überhaupt.

So 17. 01. 18.30 h
Mo 18. 01. 20.30 h

*****

Cartas del parque (Briefe aus dem Park)
Kuba 1988, 87 Minuten, SP/d, 35mm, Farbe

Juan und María verlieben sich ineinander. Ohne es zu wissen, offenbaren sie sich mithilfe desselben Schreibers, Pedro, der vom Verfassen von Liebesbriefen lebt. Bald schon beginnen sich Worte und Gefühle der drei selbständig zu machen. Tomás Gutiérrez Alea: «Jetzt, mit einigen Jahren auf dem Rücken, ergriff ich die Gelegenheit, mich in einer solchen Geschichte wiederzuerschaffen: Ich habe aus dem Vollen gelebt, und das lässt mich vielleicht dieses Universum aus Blumen, glänzenden Postkarten, verwundeten Herzen und launischen Engeln, deren Pfeile nicht immer das Ziel treffen, besser verstehen. Ein Universum, in dem die Poesie der gemeinsame Nenner ist: von den Erfindungen unserer Jahrhunderts und der grössten Entdeckung aller Zeiten, der Liebe.»

Sa 23. 01. 20.30 h
So 24. 01. 16.30 h
Mo 25. 01. 20.30 h

*****

Hasta cierto punto (Bis zu einem gewissen Punkt)
Kuba 1984, 68 Minuten, SP/d, 35mm, Farbe

Ein Filmteam arbeitet an einem Film über den ‹Machismo›. Dabei lernt der Drehbuchautor Oscar die Hafenarbeiterin Lina kennen. Im Zwiespalt zwischen Liebe und Ehe erkennt er, dass die Wirklichkeit viel komplizierter ist. Emanzipationsprobleme aus kubanischer Sicht – eine ungewöhnliche Liebesgeschichte aus Havanna.

So 24. 01. 12.15 h
So 31. 01. 18.30 h
Di 02. 02. 20.30 h

Vorfilm El mégano (Das Köhlerdorf)
Kuba 1955, 20 Minuten, SP/d, 35mm, Schwarzweiss

In neorealistischer Optik und fast ohne Dialog, basierend auf Geschichten, die arme Köhler den Filmemachern erzählen, liegt dem Film ein emotionales Potenzial zugrunde, das sich wenige Jahre später in der Revolution entlud. Der Film endet im Moment, als die Arbeiterrevolte noch nicht sichtbar, aber intensiv spürbar ist und sich im Betrachter weiterentwickeln muss.

*****

Los sobrevivientes (Die Überlebenden)
Kuba 1979; 130 Minuten, Sp/d, 35mm, Farbe und Schwarzweiss

Eine Familie aus dem kubanischen Grossbürgertum schliesst sich nach dem Sieg der Revolution von 1959 in ihrem Landgut ein, um ihren bisherigen Lebensstil weiterhin in gewohnter Weise pflegen zu können und um sich gegen alle ‹schädlichen› ideologischen Einflüsse von aussen abzuschotten. In der Überzeugung, die Revolution sei eine rasch vorübergehende Erscheinung, brauchen sie allmählich alle Geld- und Nahrungsreserven auf, was zu verheerenden und makaberen Konsequenzen führt... Los sobrevivientes, 1978 zu einer Zeit entstanden, als sich eine kulturpolitsch repressive Ära ihrem Ende zuneigte, ist eines der unbekannteren Werke Aleas. Der Meister zeigt in dieser durchaus populär gehaltenen Komödie in überzeugender Weise seine Fähigkeiten auf dem Gebiet rabenschwarzen karibischen Humors, wie man ihn etwa auch in seinen bekannteren Filmen Muerte de un burócrata oder Guantanamera vorfindet.

So 24. 01. 18.30 h
Di 26. 01. 20.30 h
Sa 30. 01. 20.30 h
So 31. 01. 16.00 h
Mo 01. 02. 20.30 h


Tomas Gutiérrez Alea




http://www.kinokunstmuseum.ch