Der nun jährlich am 1. Junisonntag stattfindende Schweizer Vätertag geht in diesem Jahr nun bereits zum vierten Mal über die Bühne. Darüber hinaus will der diesjährige Vätertag unter dem Titel «Vater-Sein in einer multikulturellen Schweiz» die Vielfalt von gelebter Väterlichkeit in unserem Lande sichtbar machen. Insbesondere sollen auch die Vaterbilder von Vätern mit einem Migrationshintergrund bewusst gemacht und diskutiert werden.
Die Schweiz lernte ich als ein kleines Paradies von prächtigen Landschaften mit Gebirgen und Seen, Schokolade, Käse und sehr vielen Kühen kennen. Heute, 22 Jahre später, eingebürgert und „integriert“, weiss ich, dass wir eine stark individualisierte und moderne Gesellschaft sind.
Wir leben in einer Multioptionsgesellschaft, deren unzählige Wahlmöglichkeiten in allen Lebensgebieten uns das Leben erschweren vor allem in Erziehungsfragen. Individualisten mit hohem Wohlstandsniveau und eigenen Zielsetzungen der Selbstverwirklichung sowie oft fehlende bzw. unklare Elternrollenvorstellungen, so scheint die Mehrheit der Bevölkerung zu sein. Nun charakterisiert sich diese Mehrheit auch durch eine gewisse Distanz zur Herkunftsfamilie oder, anders gesagt, kennzeichnet sie sich durch den Verlust von traditionellen Erziehungsstützen damals der engere Familienkreis (Grosseltern, Onkel und Tanten usw.). Nichtsdestotrotz pflegen moderne Eltern, bei denen ihr selbsterfundener Erziehungsstil zum Selbstverwirklichungsziel geworden ist, oft einen partnerschaftlichen Umgang mit ihren Kindern. Dieser Erziehungsstil zeichnet sich durch eine hohe emotionale und kognitive Qualität aus und führt zur Autonomieentwicklung. Zudem gilt es in den meisten modernen Familien eine Lesekultur zu entwickeln, pädagogisch wertvolle Spielzeuge zur Verfügung zu haben sowie zu malen, zu basteln und zu musizieren. Anders gesagt: Das übergenerationelle und traditionelle Erziehungswissen wird durch eine moderne, individuelle „Anregungskultur der vier Wände“ ersetzt. Individualisten mit hohem Wohlstandsniveau, so ist auch die Mehrheit der Eltern? Jein...
Über eine migrationsgeprägte...
Laut unterschiedlichen Berichten ist jede fünfte Person in der Schweiz von irgendeiner Form von Armut betroffen. In Armut wachsen vor allem Kinder von Migranten/innen und Alleinerziehenden auf. In Armut erziehen viele sozial benachteiligte Eltern ihre Kinder – einheimische und solche mit Migrationshintergrund. „Herkunft und Erziehung sind für das spätere Gelingen des Lebens entscheidend“, sagen die Experten/innen. Neben den kulturellen Unterschieden prägen aber auch andere Faktoren wie das Bildungsniveau, die soziale und politische Lebenslage, die Einkommens und Wohnverhältnisse sowie die Arbeitsteilung unter den Eltern die Erziehungsstile massgebend mit.
Deutlich nachgewiesen ist auch, dass Erziehungsstile, welche auf autoritären, gleichgültigen sowie wenig fördernden Massnahmen basieren, Chancenungleichheit verursachen und gesundheitsgefährdend sind. Kindern und Jugendlichen aus bildungsfernen und armen Haushalten, welche von solchen Erziehungsstilen geprägt sind, werden schlechte Zukunftschancen zugeschrieben. Die Untergruppe von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund, welche diesen Erziehungsmodellen sowie anderen Risikofaktoren ausgesetzt sind, erleben eine mehrheitlich erhöhte Belastung.
Um dieser Situation entgegenzuwirken, sind besonders Migranteneltern in die „Pflicht“ zu nehmen. Vor allem die Väter.
...Bis zur interkulturell kompetenten Schweiz!
Welche Rolle spielt ein alltagsnahes Engagement der Väter in Erziehungsfragen? Welchen zentralen Beitrag können, sollen, müssen Väter mit Migrationshintergrund zur gesunden Integration ihrer Kinder leisten?
Bei der ersten Schulungssitzung als Moderator des höchstinnovativen Projektes des VäterNetz.CH, „Väter mit Migrationshintergrund im Gespräch“, stellte der Projektleiter folgende wichtige Frage: „Was braucht ein Mann mit Migrationshintergrund, um in der Schweiz ein guter Vater zu sein?“. Als Vater von zwei Kindern sowie als Fachperson im Bereich „Interkulturelles Lernen“ kamen mir sofort zwei wichtige Begriffe in den Sinn, welche meiner Ansicht nach für Väter mit Migrationhintergund sehr wichtig sind: „Integration“ und „Interkulturelle Kompetenz“.
Vor diesem Hintergrund würde dann eine mögliche Antwort auf die oben erwähnte Frage folgende sein: Was es braucht ist Offenheit, Neugier und Lernfähigkeit, um Neues aus der Schweiz (Werte, Erziehungsstile usw.) in die von der eigenen Kultur geprägten Väterbilder integrieren zu können. Oder anders ausgedrückt: Was es braucht ist, dass man sich erfolgreich integriert was aber nicht heisst, dass man seine eigenen Wurzeln strapaziert oder vernichtet, sondern dass man daraus etwas Neues, etwas „Interkulturelles“ erfindet. Dazu braucht es interkulturelle Kompetenz, aber auch Zeit und vor allem Bildung in Form von Sensibilisierung, Begleitung und Unterstützung. Nur durch bedürfnisorientierte Bildungsmassnahmen kann man lern- und integrationsfähig werden. Das traditionelle Klischee, welches Migrantenväter auf autoritär-patriarchale Erziehungswerte reduziert, kann nicht auf alle angewendet werden. Viele Väter sind an Information und Wissen interessiert, welche ihren Kindern zu einer besseren Zukunft verhelfen könnten. Auf dieses vorhandene Potential der Migrantenväter muss man unbedingt setzen. Bei Migranten sind Vaterrollen zweifellos kulturell geprägt aber auch zugleich durch andere Faktoren unterschiedlich nuanciert. Genau wie bei Einheimischen.
Von einer multikulturellen Schweiz ist schon seit längerer Zeit die Rede. In der heutigen multikulturellen Schweiz braucht jede/r interkulturelle Kompetenz. Auch die Migrantenväter: Durch fördernde Massnahmen sollen sie zur Auseinandersetzung mit moderner Väterlichkeit motiviert und befähigt werden!
[Jorge Montoya-Romani]
Jorge Montoya-Romani, Peruaner und eingebürgerter Fribourgeois, lebt seit über 22 Jahren in der Schweiz. Er ist glücklich verheiratet und Vater von zwei binationalen Kindern. Von Beruf her ist er Psychopädagoge und Soziologe mit langjähriger Berufserfahrung als Berater und Trainer im Bereich „Interkulturelles Lernen“